Wer in Vietnam auf soziale Gerechtigkeit, Transparenz oder gar Menschenrechte hofft, sollte besser leise sein – oder schweigen. Die kommunistische Regierung zeigt aktuell mit beeindruckender Konsequenz, wie man Kritik systematisch unterdrückt, sobald sie sich auch nur ansatzweise an die Oberfläche wagt. Der neueste Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zeichnet ein bedrückendes Bild: Es geht längst nicht mehr nur um klassische Dissidenten oder Journalisten – inzwischen geraten auch ganz normale Bürgerinnen und Bürger ins Visier, wenn sie im Internet etwas posten, was den Machthabern missfallen könnte.
Ob es um Religionsfreiheit, Landenteignungen, indigene Rechte oder Korruption geht – wer derartige Themen in sozialen Netzwerken auch nur erwähnt, riskiert Überwachung, Repression und Verhaftung. Es braucht dafür weder eine Demo noch ein politisches Manifest – ein kritischer Facebook-Kommentar reicht.
Die Regierung geht dabei immer raffinierter vor. Es wird nicht mehr offen mit eiserner Faust zugeschlagen, sondern gezielt, kontrolliert, beinahe technisch effizient. Das Narrativ: Wer sich äußert, destabilisiert. Wer protestiert, gefährdet den sozialen Frieden. Und wer Korruption aufdeckt, betreibt angeblich Propaganda gegen den Staat. Der Übergang von der Demokratie zur digitalen Diktatur braucht heute keine Panzer mehr – ein Mausklick und ein Gesetz gegen „staatsfeindliche Aktivitäten“ reichen.
HRW fordert in seinem Bericht das Naheliegende: Die sofortige Freilassung aller politisch Inhaftierten, die Einstellung willkürlicher Strafverfolgung und die Rückkehr zu rechtsstaatlichen Standards. Doch das bleibt vermutlich ein Appell ins Leere. Denn aus Hanoi kommt keine Einsicht – sondern die klare Botschaft: Wer nicht schweigt, wird zum Staatsfeind gemacht.
Was dabei besonders auffällt: Die internationale Gemeinschaft bleibt erstaunlich still. Wirtschaftliche Interessen – insbesondere durch bilaterale Handelsabkommen – wiegen offenbar schwerer als moralische Verantwortung. Vietnam ist ein wichtiger Produktionsstandort, geopolitischer Partner gegen China, ein wirtschaftlich wachsendes Land mit günstigen Arbeitskräften – da schaut man gerne weg, wenn Menschenrechte geopfert werden.
Für Anleger, Unternehmen und Staaten stellt sich damit einmal mehr die unbequeme Frage: Wie viel Unterdrückung darf ein Handelspartner bieten, bevor man Konsequenzen zieht? Und wie viel Meinungsfreiheit sind wir wirklich bereit zu verteidigen, wenn Profit und Pragmatismus auf dem Spiel stehen?
Kurz gesagt: Vietnam zeigt gerade nicht nur, wie ein autoritärer Staat im digitalen Zeitalter Kritik erstickt – sondern auch, wie schwach die Stimme der Freiheit wird, wenn ökonomisches Kalkül die Debatte bestimmt.