Syrien ist erneut in den Mittelpunkt des Nahost-Dramas gerückt, ein Schauplatz, der nach Jahren relativer Stagnation nun wieder mit erschreckender Dynamik in den Fokus rückt. Der plötzliche Vormarsch islamistischer Milizen gegen die Truppen von Baschar al-Assad zeigt eindringlich, wie zerbrechlich der vermeintliche Frieden war. Das Land, seit mehr als einem Jahrzehnt vom Bürgerkrieg zerrissen, steht einmal mehr vor einer Eskalation mit potenziell verheerenden Auswirkungen weit über seine Grenzen hinaus.
Ein Pulverfass mit vielen Zündschnüren
Innerhalb weniger Tage haben die von der Türkei unterstützten Rebellengruppen große Gebiete zurückerobert. Von Idlib ausgehend gelang es ihnen, weite Teile Aleppos zu besetzen und weiter in Richtung Hama vorzurücken. Dieser Vormarsch der Allianz, die von der islamistischen Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführt wird, hat viele überrascht. Doch die Ursachen liegen tief: Das Assad-Regime, geschwächt durch den schwindenden Rückhalt seiner Verbündeten, hat in den vergangenen Wochen erneut mit intensiven Luftangriffen auf die Region reagiert – offenbar eine Eskalation, die jetzt auf blutigen Widerstand stößt.
Ein zersplittertes Schlachtfeld
Syrien bleibt ein Mosaik aus unübersichtlichen Konfliktlinien. Während die HTS auf eine rein syrische Agenda fokussiert ist, kämpfen andere Rebellengruppen mit unterschiedlichen Zielen. Besonders die Turkish-backed Syrian National Army (SNA) konzentriert sich auf Angriffe gegen die kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die im Norden Autonomiegebiete kontrollieren und von den USA unterstützt werden. Der Bürgerkrieg zeigt erneut seine vielschichtige Natur: Allianzen werden geschmiedet, nur um sie ebenso schnell wieder zu brechen.
Ein geschwächter Machthaber sucht Hilfe
Für Assad wird die Lage immer prekärer. Seine einst mächtigen Unterstützer – Russland und der Iran – haben spürbar an Einfluss und Kapazitäten verloren. Russland ist durch den Krieg in der Ukraine gebunden, und die Hisbollah sowie der Iran selbst stehen aufgrund israelischer Angriffe und interner Spannungen unter Druck. Obwohl Assad in Moskau und Teheran um mehr Unterstützung wirbt, ist unklar, ob diese reichen wird, um den Vormarsch der Rebellen aufzuhalten.
Erdogans Einfluss: Schachzug gegen die Kurden
Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan spielt in diesem Chaos eine strategische Rolle. Der plötzliche Vorstoß der Rebellen scheint mit türkischer Unterstützung koordiniert zu sein, wobei Erdogans Ziel klar ist: die Schwächung der kurdischen Autonomiegebiete entlang der türkischen Grenze. Für Erdogan ist der syrische Bürgerkrieg vor allem ein Instrument, um die kurdische Frage militärisch zu lösen und innenpolitische Stärke zu demonstrieren.
Ein fragiles Gleichgewicht
Die jüngsten Entwicklungen werfen Fragen über die Zukunft Syriens auf. Assads Truppen haben es offenbar geschafft, den Vormarsch der Rebellen vor Hama zu verlangsamen, und verstärken ihre Stellungen. Doch die langfristige Stabilität des Regimes ist alles andere als gesichert. Gleichzeitig bleibt unklar, ob andere Milizen in Syrien die Schwäche des Regimes ausnutzen werden, um eigene Gebietsgewinne zu erzielen.
Gefahr für die gesamte Region
Die Eskalation in Syrien hat das Potenzial, den gesamten Nahen Osten erneut ins Chaos zu stürzen. Die Türkei scheint zwar nicht daran interessiert, das Assad-Regime vollständig zu stürzen, da ein Machtvakuum unkontrollierbare Folgen hätte. Doch jede neue Dynamik in Syrien erhöht die Gefahr, dass der Konflikt auf Nachbarstaaten übergreift. Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass – und Syrien ist die Lunte, die jederzeit wieder entzündet werden kann.
Syrien steht an einem Scheideweg, doch dieser scheint nicht in Richtung Frieden zu führen. Stattdessen droht eine neue Phase des Krieges, dessen Konsequenzen nicht nur das Land selbst, sondern die gesamte Region schwer erschüttern könnten.