Interviewer: Frau Bontschev, Sie sind seit Jahren im Bereich des Anlegerschutzes und Verbraucherschutzes tätig. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Baustellen, die die neue Bundesregierung in diesen Bereichen angehen muss?
Kerstin Bontschev: Es gibt einige dringende Baustellen, und die Liste wird leider nicht kürzer. Der Anlegerschutz ist in Deutschland nach wie vor löchrig wie ein Schweizer Käse. Immer wieder geraten dubiose Finanzprodukte oder Anbieter in die Schlagzeilen, die Anleger um ihr Geld bringen. Ein besonders großer Schwachpunkt ist der graue Kapitalmarkt, der nur unzureichend reguliert ist. Hier muss die Bundesregierung endlich handeln. Es kann nicht sein, dass Verbraucher auf Produkte wie Nachrangdarlehen oder Direktinvestments hereinfallen, die oft als „sicher“ beworben werden, obwohl sie extrem riskant sind.
Interviewer: Was müsste konkret getan werden?
Kerstin Bontschev: Zunächst einmal braucht es strengere Zulassungskriterien und eine bessere Kontrolle der Anbieter. Produkte des grauen Kapitalmarktes sollten nur noch unter sehr strengen Bedingungen zugelassen werden. Außerdem ist eine Verstärkung der Finanzaufsicht, vor allem durch die BaFin, dringend nötig. Die BaFin muss befähigt werden, proaktiver und schneller gegen unseriöse Anbieter vorzugehen.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Transparenz. Viele Anleger wissen schlicht nicht, worauf sie sich einlassen, weil Risiken systematisch verschleiert werden. Hier könnte die Bundesregierung mit einer Pflicht zu klareren und verständlicheren Risikohinweisen auf Produktinformationsblättern ansetzen.
Interviewer: Neben dem Anlegerschutz ist auch der Verbraucherschutz allgemein ein großes Thema. Was läuft hier falsch?
Kerstin Bontschev: Im Verbraucherschutz haben wir ähnliche Probleme. Viele Bereiche sind zu komplex und unübersichtlich für den Durchschnittsverbraucher. Ein Beispiel ist der Verbraucherkreditmarkt: Hier werden Konsumenten immer noch mit intransparenten Vertragsbedingungen und teils überhöhten Zinsen konfrontiert. Die neue Bundesregierung sollte sich hier für eine Deckelung der Zinsen für Verbraucherkredite einsetzen und die Vergleichbarkeit von Kreditangeboten verbessern.
Ein weiteres drängendes Thema ist der digitale Verbraucherschutz. Gerade im Bereich der Online-Plattformen und Social Media werden Verbraucher häufig mit manipulativen Geschäftspraktiken konfrontiert, sei es durch intransparente Algorithmen oder durch undurchsichtige Preisgestaltungen. Hier braucht es klare gesetzliche Vorgaben und eine verstärkte Aufsicht durch Verbraucherzentralen.
Interviewer: Stichwort Digitalisierung: Was müsste Ihrer Meinung nach hier passieren?
Kerstin Bontschev: Es wird immer wichtiger, dass Verbraucher in der digitalen Welt besser geschützt werden. Viele wissen beispielsweise nicht, wie ihre Daten verwendet oder wie Preise durch personalisierte Algorithmen manipuliert werden. Die Bundesregierung sollte daher mehr Transparenz im Bereich der Datennutzung und Preisgestaltung auf Plattformen durchsetzen. Eine Kennzeichnungspflicht für personalisierte Preise oder durch Algorithmen gesteuerte Angebote wäre ein guter Anfang.
Außerdem wäre es wichtig, dass Verbraucherrechte bei digitalen Produkten wie Apps oder Software gestärkt werden. Gerade bei Themen wie Gewährleistung und Rückgabe stehen Verbraucher oft vor der Herausforderung, dass ihre Rechte schwer durchzusetzen sind.
Interviewer: Gibt es noch andere Bereiche, in denen Sie akuten Handlungsbedarf sehen?
Kerstin Bontschev: Absolut. Ein riesiges Problem ist nach wie vor der Schutz vor Abzocke bei Telekommunikations- und Energieverträgen. Es passiert immer noch viel zu häufig, dass Verbraucher ungewollt in teure Verträge gelockt werden – sei es durch undurchsichtige Vertragsbedingungen oder aggressives Telefonmarketing. Hier müsste die Bundesregierung endlich klare Kante zeigen und Vertragslaufzeiten begrenzen sowie das Widerrufsrecht bei telefonisch geschlossenen Verträgen weiter stärken.
Auch die Energiekosten sind ein großes Thema. Gerade in Zeiten der Energiekrise müssen Verbraucher davor geschützt werden, dass sie überhöhte Preise zahlen oder durch dubiose Anbieter in die Kostenfalle tappen. Staatlich festgelegte Preisobergrenzen für Grundversorger und eine schärfere Regulierung im Bereich der Energievermittlung wären hier wichtige Maßnahmen.
Interviewer: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Hindernis, das die neue Bundesregierung beim Anlegerschutz und Verbraucherschutz überwinden muss?
Kerstin Bontschev: Das Hauptproblem ist die Lobbyarbeit der Finanz- und Wirtschaftskonzerne. Viele sinnvolle Reformen scheitern an starkem Gegenwind aus der Industrie. Deshalb braucht es eine Regierung, die den Mut hat, Verbraucherinteressen konsequent zu vertreten, auch wenn das Gegenwind von großen Unternehmen bedeutet.
Ein weiteres Hindernis ist die oft komplizierte Gesetzgebung. Gesetze müssen so formuliert sein, dass Verbraucher sie auch verstehen können. Es nützt niemandem, wenn man ein Produktinformationsblatt oder Vertragsbedingungen fünfmal lesen muss, um sie zu begreifen. Hier braucht es einfachere Sprache und klare Vorgaben für die Anbieter.
Interviewer: Frau Bontschev, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Einblicke!
Kerstin Bontschev: Sehr gern!