Nach einem wochenlangen Nervenkrieg, der fast die Dramatik einer mittelmäßigen Telenovela erreichte, hat das Europäische Parlament endlich eine Einigung über die Besetzung der Spitzenposten der neuen EU-Kommission erzielt. Die drei großen Fraktionen – die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten und die Liberalen – haben sich in einem bewundernswerten Akt politischer Großzügigkeit dazu herabgelassen, einen Kompromiss zu finden. Oder, anders ausgedrückt: Alle haben ein bisschen gewonnen, aber niemand so richtig.
Der Star des Dramas: Raffaele Fitto, der Mann der Stunde
Ein besonderer Glücksfall für alle Fans politischen Theaters war die Personalie Raffaele Fitto, seines Zeichens Mitglied der italienischen „Fratelli d’Italia“ und Aushängeschild des rechten Flügels im europäischen Spektrum. Der Mann, der nun den bescheidenen Titel „Vizepräsident für Kohäsion und Reformen“ tragen soll, brachte die Stimmung im Parlament ordentlich zum Kochen. Es ist schließlich eine bemerkenswerte Idee, einem Politiker aus einer Partei, die für ihre Skepsis gegenüber europäischer Zusammenarbeit bekannt ist, die Schlüssel zu den Geldern für den Europäischen Sozialfonds und die regionale Entwicklung zu überreichen. Warum? Weil es spannend bleibt, wenn der Fuchs die Hühner bewacht.
Die Sozialisten und Sozialdemokraten (S&D) reagierten entsprechend begeistert und stellten sich entschieden quer – nicht etwa, weil sie übermäßig von Prinzipien getrieben wären, sondern weil politische Gegenspieler eben nun mal blockiert werden müssen. Der EVP gefiel diese Haltung natürlich gar nicht. Und wie löst man politische Blockaden in Brüssel? Richtig, mit einem geschmeidigen Gegenschlag. Teresa Ribera, eine spanische Sozialistin und Umweltministerin, wurde zum Stein des Anstoßes auf der anderen Seite.
Teresa Ribera: Schuld am Wetter – und vielleicht auch an allem anderen?
Ribera soll laut Plan als Vizepräsidentin für Wettbewerbspolitik und den grünen Wandel zuständig werden. Der grüne Wandel, der ohnehin schon ein Minenfeld europäischer Meinungsverschiedenheiten ist, dürfte mit Ribera also neue Höhenflüge an Eleganz und Einigkeit erleben. Aber nicht so schnell! Ein paar konservative und rechte Abgeordnete aus Spanien warfen ihr vor, im Oktober nicht rechtzeitig vor schweren Überschwemmungen in Valencia gewarnt zu haben. Offenbar wird in Brüssel von Umweltpolitikern inzwischen erwartet, dass sie auch als Wetterpropheten auftreten. Dass der Vorwurf an den Haaren herbeigezogen war, störte niemanden. Es ging schließlich um die Sache. Oder, genauer gesagt, darum, das politisch passende Gegengewicht zu Fitto zu verhindern.
„Ein Deal ist ein Deal“ – was auch immer das heißt
Nun gibt es also einen „Deal“. Die genaue Definition dieses Wortes scheint in Brüssel eine flexible Angelegenheit zu sein, denn Details wurden bisher nur spärlich veröffentlicht. Eine Sprecherin der Sozialdemokraten bestätigte die Einigung, ließ aber offen, was genau sie beinhaltet. Die Abstimmung im Plenum des Parlaments, die nächste Woche am Mittwoch stattfinden soll, gilt allerdings bereits jetzt als Formalität. Schließlich würde niemand riskieren, das feinsäuberlich arrangierte Kartenhaus kurz vor der Ziellinie noch einmal einstürzen zu lassen.
Von der Leyen: Bald wieder mit komplettem Team unterwegs
Sollte die Abstimmung wie geplant durchgehen – und das ist in Brüssel so sicher wie der nächste bürokratische Umweg – kann das neue Team von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 1. Dezember die Arbeit aufnehmen. Ob „Arbeit“ dabei bedeutet, tatsächlich an Lösungen zu arbeiten, oder eher weiterhin harmonisch an den Symptomen europäischer Dysfunktionalität herumzudoktern, bleibt abzuwarten.
Die Bürgerinnen und Bürger Europas können sich derweil entspannt zurücklehnen und zusehen, wie sich die Brüsseler Maschinerie weiterdreht. Vielleicht, nur vielleicht, erleben wir bald sogar erste Ergebnisse dieser meisterhaft choreografierten Personalshow. Bis dahin bleibt vor allem eine Erkenntnis: In der EU dauert alles ein bisschen länger – aber dafür ist der Unterhaltungswert unschlagbar.