Start News Holocaust-Gedenktag: Scholz mahnt – aber wer hört noch zu?

Holocaust-Gedenktag: Scholz mahnt – aber wer hört noch zu?

0
wal_172619 (CC0), Pixabay

Zum Internationalen Holocaust-Gedenktag hat Bundeskanzler Olaf Scholz einen Aufruf gestartet, der so vertraut klingt wie das alljährliche Neujahrsansprechen: Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus müsse wachgehalten werden. Es sei „bedrückend“, erklärte Scholz mehreren Zeitungen, dass viele junge Menschen in Deutschland heute kaum noch etwas über den Holocaust wüssten. Dies sei „eine Mahnung und ein Auftrag an alle, daran etwas zu ändern“. Klingt eindringlich, aber was genau soll eigentlich getan werden – und wer ist „alle“?

Gedenken als Pflichtprogramm?

Natürlich wird heute auch symbolisch gehandelt. Im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau versammeln sich Staatsgäste aus mehreren Ländern, um des 80. Jahrestages der Befreiung zu gedenken. Die Kameras werden die ernsten Mienen einfangen, Reden werden gehalten, und Blumenkränze werden niedergelegt – ein perfekt choreografiertes Ritual. Auch in vielen deutschen Städten finden Gedenkveranstaltungen statt, denn der moralische Auftrag, niemals zu vergessen, ist in Deutschland quasi Teil der Staatsraison.

Aber die Realität, die Scholz so treffend als „bedrückend“ beschreibt, zeigt sich abseits der offiziellen Feiern: Eine Gesellschaft, in der die Erinnerungskultur zwar feierlich beschworen, aber in der Praxis oft dem Alltag zum Opfer fällt. Denn wer hat heute noch Zeit, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, wenn die Gegenwart mit Inflation, Klimawandel und Netflix-Abos so viel zu bieten hat?

Warum verblasst die Erinnerung?

Es ist ja wirklich erschütternd: Die Generation, die den Holocaust überlebt hat, wird immer kleiner, Zeitzeugen sterben, und damit verschwindet auch ein direkter Zugang zur Geschichte. Aber woran liegt es, dass die junge Generation offenbar so wenig über den Holocaust weiß, wie Scholz kritisiert?

Vielleicht daran, dass der Geschichtsunterricht in deutschen Schulen oft auf ein Minimum reduziert wird, irgendwo zwischen Mathekompetenzen und Informatikprojekten? Oder daran, dass Erinnerungskultur zunehmend auf symbolische Akte beschränkt wird, wie die jährliche Gedenkveranstaltung oder ein Tweet mit dem Hashtag #WeRemember?

Das Bildungssystem, das eigentlich das Fundament einer lebendigen Erinnerungskultur sein sollte, zeigt wenig Innovationsgeist. Lehrkräfte kämpfen mit veralteten Lehrplänen, und viele Schüler können zwar alle Funktionen ihres Smartphones auswendig aufsagen, haben aber noch nie den Namen „Auschwitz“ gehört.

Ein Mahnen ohne Konsequenzen

Die Mahnung von Scholz, so gut gemeint sie auch sein mag, bleibt ein Echo dessen, was wir jedes Jahr hören: Wir dürfen nicht vergessen. Doch was folgt auf diese Worte? Gibt es eine konkrete Strategie, wie man junge Menschen wieder für die Vergangenheit sensibilisiert? Mehr Geschichtsunterricht? Investitionen in zeitgemäße Bildungsformate? Unterstützung für Gedenkstätten und Zeitzeugenprojekte? Oder bleibt es bei dem Appell an „alle“, der sich irgendwo zwischen den Schlagzeilen und der Vergesslichkeit verliert?

Die Gratwanderung der Erinnerungskultur

Die Gefahr, dass sich die Erinnerungskultur auf rein symbolische Akte reduziert, ist größer denn je. Das Wissen über den Holocaust darf nicht zu einer Randnotiz verkommen, die nur noch an Gedenktagen aktiviert wird. Doch gerade in Zeiten, in denen Populismus und Verschwörungstheorien zunehmen, müsste das Thema mehr Präsenz bekommen – nicht nur im Bildungswesen, sondern auch in der politischen und gesellschaftlichen Debatte.

Stattdessen scheint die Erinnerung an den Holocaust immer häufiger als moralisches Pflichtprogramm abgearbeitet zu werden: Eine Mahnung hier, ein Kranz dort, ein Tweet zum Hashtag. Aber was bedeutet es wirklich, aus der Geschichte zu lernen, wenn die heutige Gesellschaft die Grundlagen dieser Geschichte kaum noch kennt?

Was getan werden muss

Wenn die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wachgehalten werden soll, braucht es mehr als Gedenkveranstaltungen und Appelle. Es braucht:

Bildungsoffensiven: Ein modernes Bildungssystem, das innovative und ansprechende Formate nutzt, um jungen Menschen Geschichte näherzubringen.
Starke Gedenkorte: Mehr finanzielle und ideelle Unterstützung für Gedenkstätten, Museen und Projekte, die die Vergangenheit lebendig halten.
Digitale Angebote: Zeitgemäße Tools und Online-Plattformen, die Geschichte interaktiv vermitteln, um die junge Generation dort zu erreichen, wo sie ohnehin unterwegs ist: im digitalen Raum.
Gesellschaftliche Verantwortung: Politiker, die nicht nur mahnen, sondern auch konsequent gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung vorgehen – und damit zeigen, dass die Lehren der Vergangenheit in der Gegenwart wirken.

Fazit

Bundeskanzler Scholz’ Aufruf zur Erinnerung ist wichtig – aber er bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, solange er nicht von konkreten Maßnahmen begleitet wird. Die Erinnerung an den Holocaust ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine Grundlage für die demokratischen Werte unserer Gesellschaft. Sie zu verlieren wäre eine gefährliche Kapitulation vor Gleichgültigkeit und Ignoranz. Die Vergangenheit mahnt uns – aber sie braucht auch Menschen, die hinhören.