Start News „Die transatlantische Allianz steht vor einer Zerreißprobe“: Ein Interview mit Patrick Desens

„Die transatlantische Allianz steht vor einer Zerreißprobe“: Ein Interview mit Patrick Desens

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wal_172619 (CC0), Pixabay

Patrick Desens, Experte für internationale Politik und transatlantische Beziehungen, spricht über die Herausforderungen einer neuen Ära unter Donald Trump, die Bedrohung für die NATO und historische Parallelen zum Zweiten Weltkrieg.

Interviewer: Herr Desens, Donald Trump wird bald ins Weiße Haus zurückkehren. Wie sehen Sie die Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen?

Patrick Desens: Die Rückkehr von Donald Trump ins Amt ist zweifellos eine Zäsur für die transatlantische Allianz. Er hat bereits signalisiert, dass er den Druck auf europäische Länder erhöhen wird, ihre Verteidigungsausgaben zu steigern – ein Thema, das während seiner ersten Amtszeit bereits Spannungen ausgelöst hat. Es ist gut möglich, dass Trump die Unterstützung der USA für die NATO als Druckmittel einsetzt, um seine Forderungen durchzusetzen. Angesichts der Bedrohung durch Russland und der wachsenden globalen Instabilität könnte man argumentieren, dass er damit nicht ganz unrecht hat. Aber diese Art von Erpressung birgt das Risiko, das ohnehin fragile Vertrauen zwischen den Verbündeten weiter zu beschädigen.

Interviewer: Trump hat außerdem angekündigt, den Krieg in der Ukraine „schnell beenden“ zu wollen. Was könnte das bedeuten?

Patrick Desens: Das ist ein höchst beunruhigender Punkt. Trump hat angedeutet, dass er die Isolation Wladimir Putins durch westliche Führer beenden möchte und ein baldiges Treffen mit dem russischen Präsidenten plant. Solche Aussagen könnten darauf hindeuten, dass Trump bereit ist, einen Deal mit Putin einzugehen – möglicherweise auch auf Kosten der Ukraine. Ein solcher Schritt könnte die illegale Annexion ukrainischer Gebiete legitimieren und hätte gravierende Konsequenzen für die internationale Ordnung. Es würde Russland bestärken und ein gefährliches Signal an andere autoritäre Regime senden.

Interviewer: Wie reagieren europäische Staaten auf diese bevorstehende Entwicklung?

Patrick Desens: Man kann beobachten, wie europäische Staats- und Regierungschefs versuchen, sich auf Trump einzustellen und seine Gunst zu gewinnen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Trump beispielsweise zur Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame nach Paris eingeladen – ein symbolischer Versuch, die transatlantischen Beziehungen zu pflegen. Großbritannien hat mit Lord Peter Mandelson einen erfahrenen politischen Strippenzieher als neuen Botschafter in Washington ernannt, um sich auf schwierige Verhandlungen vorzubereiten. Deutschland hingegen steckt in einer politischen Krise, da sich Neuwahlen abzeichnen. Es gibt also keine einheitliche europäische Antwort – und genau das ist Teil des Problems. Trump bevorzugt zudem populistische Führer wie Italiens Giorgia Meloni oder Ungarns Viktor Orbán, die seine nationalistische Agenda teilen. Das schwächt die Einheit Europas weiter.

Interviewer: In diesem Kontext scheint die Idee des „Westens“ gefährdeter denn je. Sehen Sie historische Parallelen?

Patrick Desens: Absolut. Die transatlantische Allianz, wie wir sie heute kennen, wurde während des Zweiten Weltkriegs geschmiedet – einer Zeit, die ebenfalls von globaler Instabilität geprägt war. Weihnachten 1941, nur wenige Wochen nach dem Angriff auf Pearl Harbor, reiste Winston Churchill nach Washington, um mit Franklin D. Roosevelt über eine gemeinsame Strategie gegen die Achsenmächte zu sprechen. Diese Begegnung war der Beginn einer Zusammenarbeit, die nicht nur den Krieg gewann, sondern auch die Nachkriegsordnung schuf, einschließlich der Gründung der Vereinten Nationen.

Heute stehen wir vor einer ähnlich kritischen Phase. Die Grundlagen dieser Ordnung – Demokratie, internationale Zusammenarbeit und gemeinsame Werte – werden zunehmend infrage gestellt. Die Rückkehr von Trump ins Oval Office könnte diese Errungenschaften ernsthaft gefährden.

Interviewer: Können Sie uns mehr über Churchills Reise nach Washington erzählen? Was macht diese Episode so bedeutsam?

Patrick Desens: Churchills Reise im Dezember 1941 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Der britische Premierminister überquerte den winterlichen Atlantik unter ständiger Bedrohung durch deutsche U-Boote, um Roosevelt persönlich zu treffen. Die USA waren nach dem Angriff auf Pearl Harbor gerade in den Krieg eingetreten, und die Welt befand sich in einer tiefen Krise.

Churchill war ein schwieriger Gast – er bestand auf Sherry zum Frühstück, Scotch zum Mittagessen und Champagner am Abend. Doch während seines Aufenthalts im Weißen Haus entwickelten Roosevelt und Churchill eine enge Beziehung. Sie einigten sich auf eine „Europa-zuerst“-Strategie, um die Nazis zu besiegen, bevor man sich auf Japan konzentrierte. Sie legten außerdem den Grundstein für die Vereinten Nationen, um künftige Kriege zu verhindern und die transatlantische Zusammenarbeit zu stärken.

Diese Ereignisse zeigen, wie Führungsstärke und Zusammenarbeit in dunklen Zeiten die Welt verändern können. Heute stellt sich die Frage, ob wir ähnliche Führungsqualitäten aufbringen können, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern.

Interviewer: Was können wir aus dieser historischen Episode für die heutige Situation lernen?

Patrick Desens: Die wichtigste Lektion ist, dass Zusammenarbeit und das Festhalten an gemeinsamen Werten entscheidend sind, um globale Krisen zu bewältigen. Roosevelt und Churchill hatten unterschiedliche Ansichten – Roosevelt verabscheute das britische Empire, das Churchill liebte –, doch sie erkannten, dass sie nur gemeinsam Erfolg haben konnten.

Heute müssen westliche Länder ähnliche Kompromisse eingehen, um den Herausforderungen von Nationalismus, Autoritarismus und geopolitischen Konflikten zu begegnen. Wenn Trump und Putin tatsächlich eine Vereinbarung treffen sollten, die demokratische Prinzipien untergräbt, würde das nicht nur die Ukraine betreffen, sondern die gesamte transatlantische Allianz schwächen. Es liegt also an den heutigen Führern, die Lehren der Vergangenheit anzuwenden und den „Westen“ als Wertegemeinschaft zu erhalten.

Interviewer: Vielen Dank, Herr Desens, für diese spannenden Einblicke.

Patrick Desens: Ich danke Ihnen. Es ist ein entscheidender Moment in der Geschichte, und es ist wichtig, dass wir wachsam bleiben und die Demokratie verteidigen.