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Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zur EuGH-Vorlage über die Förderung kulturell bedeutender Werke durch Verwertungsgesellschaften

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Frage: Herr Blazek, der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof Fragen vorgelegt, die klären sollen, ob und in welchem Umfang Verwertungsgesellschaften kulturell bedeutende Werke fördern dürfen. Was bedeutet diese Vorlage für das Urheberrecht und die Praxis von Verwertungsgesellschaften?

Daniel Blazek: Diese Vorlage ist von großer Bedeutung, weil sie den Kern der Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften betrifft: die Verwaltung und Verteilung von Einnahmen aus Urheberrechten. Die Frage ist hier, ob Verwertungsgesellschaften, wie etwa die VG Wort, einen Teil der Einnahmen nutzen dürfen, um kulturelle oder wissenschaftliche Förderprojekte zu finanzieren, und ob dies mit europäischem Recht vereinbar ist. Das Ergebnis könnte erheblichen Einfluss darauf haben, wie Verwertungsgesellschaften künftig arbeiten und wie stark sie sich über die bloße Rechtewahrnehmung hinaus gesellschaftlich engagieren dürfen.

Frage: Der Kläger argumentiert, dass die Förderung kultureller Projekte seine eigenen Einnahmen schmälert. Ist diese Kritik berechtigt?

Daniel Blazek: Aus Sicht des Klägers ist die Kritik nachvollziehbar. Als Rechteinhaber erwartet er, dass die Verwertungsgesellschaft die erzielten Einnahmen vollständig an die Urheber und Rechtsinhaber ausschüttet. Die Förderung kultureller Projekte oder die Unterstützung Dritter – insbesondere solcher, die selbst keine Rechtsinhaber sind – kann den Eindruck erwecken, dass Gelder für andere Zwecke „zweckentfremdet“ werden. Das wirft natürlich die Frage auf, ob dies mit den rechtlichen Vorgaben und dem Vertrauen der Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft vereinbar ist.

Frage: Der Bundesgerichtshof verweist auf mehrere europäische Richtlinien, die in der Sache relevant sind. Wo liegen die rechtlichen Konfliktpunkte?

Daniel Blazek: Die rechtlichen Konflikte drehen sich um zwei Kernfragen: Erstens, ob Einnahmen, die durch Urheberrechte generiert werden, überhaupt für kulturelle oder wissenschaftliche Fördermaßnahmen verwendet werden dürfen, und zweitens, unter welchen Voraussetzungen diese Maßnahmen rechtmäßig sind.
Die Richtlinie 2014/26/EU verlangt beispielsweise, dass die Einnahmen vorrangig den Rechtsinhabern zugutekommen sollen. Ausnahmen sind nur unter bestimmten Bedingungen zulässig, etwa für soziale oder kulturelle Leistungen, die fair und transparent verteilt werden. Der Kläger wirft jedoch die Frage auf, ob diese Fördermaßnahmen auch Personen oder Institutionen zugutekommen dürfen, die nicht unmittelbar Rechteinhaber sind, wie etwa wissenschaftliche Einrichtungen oder Verlage. Genau hier setzt der EuGH an.

Frage: Der Kläger kritisiert auch den „Förderungsfonds Wissenschaft“, den die VG Wort eingerichtet hat. Können Sie uns das Problem etwas genauer erläutern?

Daniel Blazek: Der Förderungsfonds Wissenschaft vergibt Zuschüsse für wissenschaftliche und fachliche Veröffentlichungen sowie für Projekte, die wissenschaftliche Inhalte fördern sollen. Diese Mittel stammen aus den Einnahmen der VG Wort, die wiederum von den Rechten der Autoren und Verleger abhängen. Der Kläger beanstandet nun, dass durch diese Förderung sein Anteil an den Ausschüttungen verringert wird. Er sieht sich also doppelt belastet: Einerseits durch die Mittelverwendung für die Förderung und andererseits durch die Tatsache, dass auch Verlage, die bereits an den Einnahmen beteiligt sind, von den Fördergeldern profitieren können. Aus Sicht des Klägers entsteht hier eine Schieflage.

Frage: Welche Auswirkungen könnte die Entscheidung des EuGH auf die Praxis von Verwertungsgesellschaften haben?

Daniel Blazek: Sollte der EuGH entscheiden, dass Fördermaßnahmen nur sehr eingeschränkt zulässig sind oder ausschließlich Rechtsinhabern zugutekommen dürfen, könnte dies die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften erheblich einschränken. Viele Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort oder die GEMA engagieren sich über die reine Verteilung von Geldern hinaus – etwa durch die Unterstützung von Kultur- und Wissenschaftsprojekten. Wenn diese Aktivitäten künftig stärker reguliert oder sogar untersagt würden, müssten Verwertungsgesellschaften ihre Förderstrategien überdenken. Dies könnte zu weniger kultureller Förderung führen, was insbesondere für kleinere Projekte oder Nischenpublikationen problematisch wäre.

Frage: Der Bundesgerichtshof hat auch die Frage gestellt, ob ein Wahrnehmungsvertrag Voraussetzung für die Förderung sein muss. Wie sehen Sie diese Problematik?

Daniel Blazek: Das ist eine spannende Frage. Aktuell können sowohl Autoren als auch Verlage, die Mitglieder der VG Wort sind, von den Förderprogrammen profitieren. Der EuGH wird klären müssen, ob Fördergelder nur an diejenigen fließen dürfen, die einen aktuellen Wahrnehmungsvertrag haben, oder ob auch ehemalige oder indirekte Rechtsinhaber einbezogen werden können. Sollte ein Wahrnehmungsvertrag verpflichtend sein, könnte dies den Kreis der Förderberechtigten deutlich einschränken. Das würde die Verteilung transparenter machen, könnte aber auch dazu führen, dass bestimmte Projekte nicht mehr förderfähig sind.

Frage: Was bedeutet diese Vorlage für Urheber und Verleger, die Mitglieder der VG Wort sind?

Daniel Blazek: Für die Mitglieder der VG Wort, insbesondere die Urheber, steht viel auf dem Spiel. Eine Entscheidung zugunsten des Klägers könnte dazu führen, dass künftig mehr Gelder direkt an die Rechtsinhaber ausgeschüttet werden und weniger für Förderprojekte zur Verfügung stehen. Das könnte kurzfristig finanziell vorteilhaft für die Rechteinhaber sein, langfristig aber die kulturelle und wissenschaftliche Vielfalt beeinträchtigen, die durch solche Förderprogramme unterstützt wird. Die Entscheidung wird also eine Gratwanderung zwischen individuellen Interessen der Rechteinhaber und dem kollektiven Interesse an kultureller Förderung sein.

Frage: Wann ist mit einer Entscheidung des EuGH zu rechnen, und was wäre Ihr persönlicher Ausblick?

Daniel Blazek: Der EuGH benötigt in der Regel mindestens ein Jahr, um eine solche Vorlage zu entscheiden. Das Thema ist komplex und betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Länder, in denen Verwertungsgesellschaften ähnlich arbeiten. Ich erwarte, dass der EuGH einen Mittelweg sucht, der sowohl die Interessen der Urheber als auch die Bedeutung der kulturellen Förderung berücksichtigt. Klar ist jedoch: Die Entscheidung könnte einen Präzedenzfall schaffen, der die Arbeit von Verwertungsgesellschaften in ganz Europa neu definiert.

Frage: Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr Blazek.

Daniel Blazek: Sehr gern!